Einblicke in das Werk eines Malers vielfältiger Inspirationen über die Menschheit
Claus Mayrhofer (1943-2009), der sich sehr früh den Künstlernamen Barabbas zulegte, war in seinem Schaffen als Maler ein extremer Individualist, den kein Kunsthistoriker einer der bereits existierenden Kunstrichtungen zuordnen konnte.
Seine Geburtsstadt war Wien, eine Weltstadt, die bekannt dafür ist, dass sie seit Jahrhunderten Einzigartiges hervorbrachte. Und dies in Musik und Malerei wie auch in der Wissenschaft. Dort ließ sich bereits in früher Jugend Barabbas durch die avantgardistische Jazzszene faszinieren. Seit dem Jahr 1967 bekannte er sich zum Baha'i-Glauben, was unter anderem in beeindruckenden Bildern seinen Niederschlag fand.
1986 übersiedelte Barabbas nach Bali, wo er sich infolge eines vom Unterrichtsministerium geförderten transkulturellen UNESCO-Austauschprogramms drei Jahre lang aufhielt und mit der Udayana-Universität in Denpasar zusammenarbeitete. Anschließend ging er nach Australien, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2009 in Bendigo lebte und auch Mitglied des Geistigen Rates der Baha'i-Gemeinde im Großraum Bendigo war. Das bildnerische Werk von Barabbas wurde in 45 Ausstellungen in Australien, Deutschland, Frankreich und Österreich gezeigt.
Inspirationen
Barabbas suchte immer wieder neue Inspirationen, die sein Werk beflügelten. Das erklärt auch das einzigartige an seiner Malerei. Lassen wir ihn aus seinem Werktagebuch mit Eintrag vom 22. November 1990 selbst sprechen:
„Von Anfang an hatte meine Malerei nichts mit Popart, Psychedelic-Art usw. zu tun. Meine Malerei entwickelte sich durch meine Auseinandersetzung mit den Schnitzereien der Papua am Sepik (River), mit Tätowierungen der Maoris und mit Hundertwasser. Darüber hinaus vertiefte ich mich in die Kunst von Gauguin – welcher meinen Blick in den pazifischen Raum lenkte – Kandinsky, Kupka, Paul Klee und Klimt.“
Barabbas agierte als Künstler in einem extrem individualistischen Zwischenreich, worin indianische Volkskunst, die Magie des Orients, die Märchenhaftigkeit der Naiven ebenso wie Abstraktion und Pop Art einströmten. Barabbas ging es, wie er selbst betonte, um das „zeitlose Erfassen von Nicht-Messbarem“, wofür er in den sechziger Jahren den Begriff OVERGROUND geprägt hat. OVERGROUND bedeutete für ihn Lebenshaltung aus dem Relaxing, subtile Geistigkeit, Einheit in der Kunst und das Bestreben, diese Kunst in alle Lebensbereiche zu integrieren.
Berthold Ecker, Kunsthistoriker und Kurator für moderne Kunst im Wien Museum, bezeichnete Barabbas als paradigmatischsten Maler der 1960er und 1970er Jahre in Österreich, in dessen Schaffen sich ein kraftvolles, bedachtes und konsequent entwickeltes Werk offenbart, in dem spielerische Leichtigkeit und Urgewalt der Naturkräfte in einem spannungsreichen Austausch stehen.
Kleiner Rundgang durch ein großes Werk
In den Baha'i-Schriften wird Kunst und die Beschäftigung mit ihr als Ausdruck des Geistigen ausdrücklich sehr hoch eingestuft:
Jede Kunst ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Wenn dieses Licht durch den Geist eines Musikers scheint, manifestiert es sich in wunderschönen Harmonien. Und scheint es durch den Geist eines Dichters, wird es durch feine Poesie und poetische Prosa sichtbar. Wenn das Licht der Sonne der Wahrheit den Geist eines Malers inspiriert, bringt er wunderbare Bilder hervor. Diese Gaben erfüllen ihren höchsten Zweck, wenn sie den Lobpreis Gottes kundtun.
Abdu'l-Baha, in: Die Bedeutung der Künste
Malte Barabbas anfänglich kleinformatige Bilder, so waren die 1970er Jahre von monumentalen Werken geprägt. 1975 schuf er das 200 m² große Gemälde „Big Bang“, auch „Genesis“ genannt, das der Einheit der Menschheit gewidmet ist. Es wurde 1975 und 2013 im Wiener Künstlerhaus ausgestellt. Die Verwirklichung der „Einheit der Menschheit“, ein Zusammenleben aller Menschen in Frieden und Eintracht, zählt zu einem wesentlichen ethischen Grundsatz des Baha'i-Glaubens. Zahlreiche Baha'i-Prinzipien hat Barabbas in diesem Gemälde symbolisch dargestellt, die religionsübergreifend die ganze Menschheit betreffen. Zunächst über die „Irrfahrt“ des Big Bang:
„Der ‚Big Bang’ hatte ein ausgesprochen dramatisches Schicksal, und es ist nur der Initiative von einigen engagierten Personen zu verdanken, dass das monumentale Gemälde überhaupt hier hängt. Nach der Erstausstellung im Jahr 1975 lagerte es im Kellerdepot des Künstlerhauses, wurde vergessen, erschien in einer späteren Bestandsaufnahme nicht mehr und wurde 2011 dank der Beharrlichkeit von Familienmitgliedern wiederentdeckt. Es war also 36 Jahre so gut wie verschwunden. Nicht nur aus diesem Grund lässt es sich mit dem ‚Beethoven-Fries‘ von Gustav Klimt aus dem Jahr 1902 vergleichen. Im außergewöhnlichen Riesengemälde ‚Big Bang‘ erfahren wir den Maler Barabbas als tief innigen Mystiker und teilweise auch als Romantiker. Er zeigt uns eine konkrete Utopie, die auf den Schriften einer neuen Universalreligion basiert und deren oberstes Ziel die Einheit der Menschheit ist.“ (Auszüge aus einer Rede von Gerhard F. Schweter bei der Eröffnung der Ausstellung im Wiener Künstlerhaus im Jahr 2013)
Heute befindet sich das Gemälde „Big Bang“ als Eigentum der Stadt Wien im Depot des Wien Museums.
Barabbas arbeitete an dem Mammutgemälde, wie er es auch nannte, nur drei Monate. Dazu äußerte er sich später in einem Brief: „Man muss bedenken, dass ich das Riesenbild wie eine Schriftrolle (von rechts nach links) malte, dabei allerdings nie mehr als fünf bis sieben Meter zu bearbeitende Leinwand vor Augen hatte. Mit anderen Worten: Was ich zuvor gemalt hatte, wurde weggerollt, damit ich weiterarbeiten konnte. Dazu verhalfen mir mein gutes Erinnerungsvermögen und mein Kompositionstalent …“
Wenden wir uns den verschiedenen Teilen des Gemäldes zu:
Der rechte Teil von „Big Bang“
Ganz rechts: die Entstehung des Universums. Dann tritt der Mensch auf. Sein erster Schrei ist angedeutet (siehe das stilisierte Symbol der Sonnenblume – etwas rechts von der Mitte). Die Sonnenblume steht für den Beginn des Lebens. Die weitere Entwicklung symbolisiert die stilisierte Darstellung der Formel der Einstein'schen Relativitätstheorie E=mc². Es folgt eine Doppelfigur, die vorwärts schreitet. Das zeigt die Doppelnatur des Menschen – er ist sowohl ein körperliches als auch ein geistiges Wesen (im linken Viertel).
Der Mittelteil von „Big Bang“
In der Mitte: Der Lebensweg führt (von rechts nach links) über Prüfungen ans Ziel des Unfassbaren (gelbes Licht-Zentrum).
Die drei Abschnitte dabei – ganz rechts, Mitte und fast links:
Ohne bewusste Anstrengung ist diese Lebensreise ins Licht nicht möglich. Es gilt zunächst, den Berg der Läuterung unseres Egos zu überwinden.
Nachdem man geistige Prüfungen bestanden und den Berg des Egos überwunden hat, führt der Weg weiter durch ein Tor (auch Symbol für den Bab). Es ist die Geburt in ein neues Dasein. Dieses Tor zu durchschreiten ist nur Menschen möglich, die nicht weltlichen und materiellen Dingen anhaften. Die beiden pastellfarbenen Sonnenblumensymbole zeigen, dass man nur hell und transparent dieses Tor durchschweben kann.
Vom Licht angezogen, taucht der Geläuterte ein in das ewige Mysterium. Der Tabernakel, die Nähe Gottes. Im innersten Kern, gleißendes und strahlendes Licht aussendend, befindet sich der „Größte Name“ – „Ya Baha'u'l-Abha“ (dt. “Oh Herrlichkeit der Herrlichkeiten”, nur am Original gut erkennbar). Das ist die Botschaft von der Einheit der Menschheit, vom Beginn eines Zeitalters der Einheit. Von diesem hellen Zentrum gehen 9 Strahlen in alle Richtungen aus. Gewissermaßen wiederholt sich hier der Urknall, aber diesmal auf einer geistigen Ebene. Es wird eine neue Menschheit erschaffen und der Anstoß zu einem weiteren Evolutionsschritt gegeben.
Der linke Teil des Gemäldes
Vom Zentrum aus beginnt alles von Neuem, alles ist im Fließen. Die Zukunft führt zu einem neuen Anfang, eine neue Welt entsteht. Das Ende des Bildes ist eigentlich kein Ende. Die Entwicklung geht weiter (große, hängende gelbe Tropfen). Barabbas: „Eigentlich tropft und rinnt das ganze Bild aus meinem sehnsüchtigen Herzen. Es ist der Einheit der Menschheit gewidmet.“
Auf dem Weg in die Zukunft zeigt sich in einer Luftblase ein Haus am See, Berge und Wald:
Ganz links im Gemälde ist eine freie Übersetzung eines „Verborgenes Wortes“ eingefügt (in der Abbildung nicht erkennbar): „O Sohn des Menschen! Erhebe dein Herz mit Freude, um Mir begegnen zu können als ein Spiegel Meiner Schönheit.“
Vergleiche Baha'u'llah, Verborgene Worte
Barabbas war auch ein Romantiker und sehnte sich nach dem, was wir das Glück im
Kleinen nennen. Doch ebenso wie dieser Ausschnitt nur ein kleines Detail eines großen Gemäldes ist, gab es für derartiges Glück im Kleinen im Leben des Barabbas nur wenig Platz.
Er wollte mit diesem Werk den Kreislauf des Lebens und der Schöpfung darstellen. Mit seinen Gemälden schuf er Projektionsflächen für den Betrachter – voll intensiver Farbigkeit, gleich Edelsteinen. Geheimnisvolle Labyrinthe, in denen man auf äußere und innere Entdeckungsreise gehen, schwelgen, träumen und sich finden kann.
Alle Wissenschaften, Wissensgebiete, Künste, Erfindungen, Einrichtungen, Unternehmungen und Entdeckungen entspringen dem Begriffsvermögen der vernunftbegabten Seele. Einst handelte es sich um undurchdringliche Geheimnisse, verborgene Mysterien und unbekannte Wirklichkeiten, doch die vernunftbegabte Seele entdeckte sie nach und nach und brachte sie aus dem Unsichtbaren in das Reich des Sichtbaren.
Abdu'l-Baha, Beantwortete Fragen
Rosemarie Philomena Sebek lebt in ihrer Geburtsstadt Wien. Nach ihrem Studium an der Hochschule für Welthandel und beruflichen Anfängen als Werbetexterin arbeitete sie zunächst als Wirtschaftsjournalistin. Durch die Ehe mit dem Maler und Free-Jazz-Musiker (Masters of Unorthodox Jazz) Claus Mayrhofer Barabbas, bestand in den 1960er und frühen 1970er Jahren ein besonderes Naheverhältnis zur Wiener Kunstszene. Zusätzlich zu ihren familiären und beruflichen Aufgaben malte sie Bilder und beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen. In den späten 1970ern war sie eine der ersten Bio-Bäuerinnen in Niederösterreich, züchtete Milchschafe und produzierte Schafkäse. 1985 kehrte sie nach Wien zurück und wurde als erste Frau federführende Schriftleiterin und stellvertretende Chefredakteurin der technisch-wissenschaftlichen Fachzeitschrift „e & i Elektrotechnik und Informationstechnik“. Nach Beendigung ihrer beruflichen Tätigkeit im Jahr 2000 war sie als freischaffende Autorin tätig.
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