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Dizzy Gillespie – Jazzlegende und Brückenbauer auf Tour in Berlin-Moskau-Prag

Autorenbild: Ingo HofmannIngo Hofmann

Von Ingo Hofmann und Nodi Rafat


Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung der Artikelserie über Dizzy Gillespie, Link zu Teil 1

„Eine Welt für alle“ – diesem Motto widmete der Jazztrompeter Dizzy Gillespie 1990 seine dreitägige Benefiz-Konzerttour Berlin-Moskau-Prag. Sie stand unter der Schirmherrschaft von Altbundeskanzler Willy Brandt und wurde von der Deutschen Baha'i-Gemeinde unterstützt. 


Die Tour begann nur wenige Monate nach dem Mauerfall. Dieses historische Ereignis, das damals große Erwartungen an den Anbruch einer neuen, friedvolleren Ära ausgelöst hatte, prägte den Geist der Tour. Dizzy Gillespie bezeichnete sie später als den Höhepunkt seines gesellschaftlichen Engagements. Wir Autoren dieses Artikels konnten sie als Zeitzeugen miterleben (N. R. als Initiator und Organisator, I.H. für Pressearbeit).


Heute, nach 35 Jahren, fragen wir uns, warum wir schier ratlos vor dem Scherbenhaufen der damaligen großen Friedenserwartungen stehen. Nach unserem Empfinden müssen schon wieder neue Mauern dringend ab- statt aufgebaut und an ihrer Stelle Brücken errichtet werden. Nur so kann die „Eine Welt für alle“ eine echte Zukunft haben.


Diese Devise hatte damals natürlich eine Vorgeschichte. Heutzutage scheint sie in Vergessenheit geraten oder wird als angeblich von der Realität eingeholter Traum abgetan. Aber auch damals fiel das Motto „Eine Welt für alle“ keineswegs vom Himmel. Es wehte der neue Wind des Aufbruchs und der Zuversicht. Der Fall des „eisernen Vorhangs“ zwischen Ost und West sorgte sogar bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für Ergriffenheit und prägte – vorübergehend – den Zeitgeist. Entsprechend setzte die ARD Anfang 1990 unter der Leitung des Programmdirektors Rolf Seelmann-Eggebert den Programmschwerpunkt „Eine Welt für alle“. 


Vorgeschichte

Duisburg 1986:  Altbundeskanzler Willy Brandt war Dizzy Gillespie bei einem Benefizkonzert zugunsten der von ihm initiierten Stiftung „Entwicklung und Frieden“ begegnet. Beide bewunderten einander. Die Veranstaltung war vom Jazzförderkreis Duisburg, dem Kulturamt der Stadt und von der örtlichen Baha'i-Gemeinde unterstützt worden. Neben Willy Brandt waren auch der damalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Johannes Rau und weitere Prominente anwesend. Damals entstand die Idee zu dieser denkwürdigen 3-Tages-Tournee.


Willy Brandt und Dizzy Gillespie beim Benefizkonzert in Duisburg 1986
Willy Brandt und Dizzy Gillespie beim Benefizkonzert in Duisburg 1986

Berlin (Ost) – Palast der Republik

Der begeisternde Funke, das Empfinden eines historischen Wendepunkts, erfasste damals auch die Baha'i-Gemeinde auf vielen Ebenen. Mit zusätzlicher Unterstützung durch die Baha'i International Community (BIC), die als NGO bei den Vereinten Nationen akkreditiert ist, wurde diese einmalige Tour Dizzy Gillespies ein internationales Projekt. Ihre Wirkung reichte weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.


Offizielles Plakat für Berlin – im Palast der Republik
Offizielles Plakat für Berlin – im Palast der Republik

Fünf Monate vor der deutschen Wiedervereinigung, am 9. Mai 1990 startete die Crew um Dizzy Gillespie und seine Band in der DDR in Ost-Berlin. Veranstaltungsort war das Aushängeschild ostdeutscher Unterhaltung, der Palast der Republik, der später dem Wiederaufbau des zerstörten Berliner Schlosses (heute „Humboldt-Forum“) weichen musste. Die Schirmherrschaft der Tour hatte Altbundeskanzler Willy Brandt übernommen, der Dizzy Gillespie bereits 1986 bei einem Konzert in Duisburg begegnet war. 


Kurz vor dem Konzert war es Dizzy Gillespie wichtig, per Sondererlaubnis „von ganz oben“, symbolisch die letzten Mauerreste am Brandenburger Tor zu besteigen. Bei der anschließenden Pressekonferenz sagte er: 


Die Ereignisse in Osteuropa zeigen, wie viel Energie in der Macht des menschlichen Geistes liegt, und wie er ohne Waffen und sinnloses Töten über totalitäre Systeme siegt. Ich bin glücklich über diese Vereinigung, denn der Baha'i- Glaube lehrt uns, dass die ganze Erde ein Land ist und alle Menschen seine Bürger“.


Dizzy Gillespie auf einem der letzten Mauerreste am Brandenburger Tor
Dizzy Gillespie auf einem der letzten Mauerreste am Brandenburger Tor

Am Abend war der Palast der Republik bis auf den letzten Platz besetzt. Unter den Ehrengästen waren Dr. Sabine Bergmann-Pohl und weitere Staatsrepräsentanten. Sabine Bergmann-Pohl war von April bis Oktober 1990 Mitglied und Präsidentin der frei gewählten Volkskammer der DDR und in dieser Eigenschaft auch deren letztes Staatsoberhaupt, danach Bundesministerin in der vereinigten Republik und bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Vorgruppe sorgte die kanadisch-stämmige Jazzsängerin Judy Rafat, begleitet von Jazz-Saxophonist Thomas Gebhard, bereits vor Dizzy Gillespies Auftritt für beste Stimmung im Saal.


Moskau – Rossiya-Hall

Am Folgetag stand das Konzert in Moskau unter der Schirmherrschaft von Raissa Gorbatschowa. Moskau war zu dieser Zeit noch die Hauptstadt der Sowjetunion, die knapp zwei Jahre später nicht mehr als Staatenbund existierte. Das Konzert fand in der gewaltigen und ausverkauften „Rossiya-Hall“ gegenüber dem Kreml statt. Das große Publikum kam aus der Moskauer Kultur- und Musikszene sowie der Politik. Zuvor hatte Dizzy Gillespie den Roten Platz besichtigt und dann eine Pressekonferenz abgehalten. Dabei nahm er die Gelegenheit wahr, auch die damals schon weltweit besorgniserregende Umweltzerstörung anzusprechen.


Dizzy am Roten Platz
Dizzy am Roten Platz mit Ingo Hofmann (li), daneben Andrew Bromfield (Moskau) und Nodi Rafat (re) mit Sängerin Judy Rafat 

Das Konzert wurde begeistert aufgenommen. Anschließend begaben sich die Musiker und ihr Team in einen Moskauer Jazzkeller. Dort wurde Dizzy Gillespie von den örtlichen Jazzmusikern als international bekannte Jazz-Ikone gefeiert. 


Prag – Kulturpalast

Am nächsten Tag wurde die Tour in Prag fortgesetzt, damals noch Hauptstadt der Tschechoslowakei, die sich 1993 in die Staaten Tschechien und Slowakei aufteilte. Das Konzert im wiederum ausverkauften Prager Kulturpalast fand in Anwesenheit von Staatsoberhaupt Vaclav Havel und seiner Gattin Olga Havlova statt, die auch die Schirmherrschaft innehatte. Auch die US-Botschafterin in der noch bestehenden Tschechoslowakei war zugegen: Shirley Temple kannte man vor ihrer diplomatischen Karriere als gefeierten Hollywood-Kinderstar. 


Dizzy Gillespie und Vaclav Havel im Prager Kulturpalast
Dizzy Gillespie und Vaclav Havel im Prager Kulturpalast

An diesem Abend unterbrach Dizzy Gillespie plötzlich sein Konzert mit den Worten: 


„Dieses Konzert ist der Idee der ‚Einen Welt' gewidmet. Es wurde initiiert von der Internationalen Baha'i-Gemeinde, die für das Ziel der Einheit der Menschheit und den Weltfrieden arbeitet. Hunger, Unterdrückung und – seit kurzem – die Umweltzerstörung überschreiten die traditionellen Grenzen zwischen den Nationen, Rassen und Religionen. Baha'u'llah sagt ‚Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger‘. Frieden und soziale Gerechtigkeit sind der unteilbare Schatz der gesamten Menschheit. Es gibt nur eine Welt, oder keine.“


Diesen Worten spendete das Publikum minutenlang Beifall. 


Dizzy Gillespies Botschaft in Prag: „Es gibt nur eine Welt, oder keine.“ 
Dizzy Gillespies Botschaft in Prag: „Es gibt nur eine Welt, oder keine.“ 

Die Maxime „Eine Welt für alle“ und das Zusammenwachsen der Menschheit waren für Dizzy Gillespie ebenso Herzensangelegenheiten wie der „Bebop“ – die innovative Richtung des Jazz, als deren prominentester Vertreter er gilt.

Dass sich die Baha'i-Gemeinde an Kulturveranstaltungen beteiligt, liegt an dem hohen Stellenwert, den die Baha'i-Lehren den Künsten zuordnen. Das weltverändernde Potenzial der Musik und aller übrigen Künsten wird längst noch nicht ausgeschöpft. 


Der Leser wird sich vielleicht fragen, warum von dem damaligen Geist der „einen Welt für alle“ so wenig geblieben ist. War das nur eine Laune des historischen Augenblicks des Endes des Kalten Krieges und der Sowjetunion? Ist die Menschheit schon wieder dazu verdammt, ihre Zukunft nur in Kriegen zu suchen? Oder ist es höchste Zeit, jede Chance aufzugreifen, um doch an dieser „einen Welt für alle“ weiterzubauen. Dies beginnt in unseren Köpfen mit Dankbarkeit für die uns gegebenen einzigartigen Mittel, geht weiter in unserer Nachbarschaft, unserem Land, auf unserem Kontinent und dem einzigartigen Planeten Erde, der allen gehört. In den Baha'i-Schriften heißt es: 


An diesem Tag strahlt die Sonne fachlichen Könnens über dem Horizont des Westens, und ein Strom der Künste und Fähigkeiten fließt aus dem Meer jener Weltgegend. Man muss gerecht sein und solche Segnungen schätzen.

 

Ingo Hofmann studierte Physik in München und war über drei Jahrzehnte im Raum Darmstadt-Frankfurt in der Forschung und als Hochschullehrer tätig. Er ist Vater von vier Kindern und lebt seit einigen Jahren in Potsdam, Brandenburg.


Godrat (Nodi) Rafat studierte Geologie und Geophysik an der Goethe-Universität Frankfurt und war vier Jahrzehnte lang in der Forschung und Entwicklung im internationalen Bergbau tätig. Er ist Honorarprofessor an der Bergbau-Universität-Moskau und Mitglied der Russischen Akademie der Geowissenschaften. Er ist Vater von 3 Kindern und lebt in Duisburg. 


Bildrechte: Nodi Rafat

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