Ein Dialogbeitrag zu Gesucht: Weltfrieden
Ingo Hofmann im Gespräch mit Markus Mediger
Was ist ein Dialogbeitrag?

Frage: Angesichts des Beispiels, in dem Kinder während eines Spaziergangs spielerisch globale Konfliktdynamiken nachbilden, stellt sich die Frage, inwiefern diese frühkindliche Verquickung von Spiel und Krieg unsere gesellschaftliche Wahrnehmung langfristig prägt. Könnte solch ein frühes Eindringen politischer Denkmodelle in die Kindheit den Grundstein für ein polarisierendes Weltbild legen? Können wir überhaupt etwas dagegen tun?
So groß das Thema des Weltfriedens auch klingt, es beginnt letztendlich auf der Ebene jedes Einzelnen und ist damit eng verbunden mit dem tiefgreifenden Thema der Erziehung. Sollte man solche „kriegerischen“ Spiele von vornherein unterbinden, weil sie konfliktträchtiges Gedankengut in den Gehirnen junger Kinder entstehen lassen? Meine ganz persönliche Meinung dazu: Solange solche Spielereien nicht in echte Konflikte und Ausgrenzung ausarten, halte ich das für normal und sogar wichtig, um das Konzept von Grenzen und dem Gegenüber zu erforschen. Es gibt das „Ich“ und das „Du“, das „Wir“ und das „Ihr“, es gibt Freund und „Feind“, es gibt unser Gebiet und euer Gebiet. Wichtig dabei finde ich, dass Kinder ab einem gewissen Alter diese Art des Denkens wieder ablegen und sich der Wichtigkeit von Prinzipien wie Einheit in der Vielfalt und Kooperation bewusst werden. Ich befürchte, dass wenn man diese frühe Phase nicht zumindest mal spielerisch erforscht hat, man auch den Wert einer friedlichen Gesellschaft nicht ausreichend zu schätzen weiss.
Frage: Du zitierst „Die Verwirklichung von Gerechtigkeit und Unparteilichkeit bedeutet, das Wohl der Gemeinschaft als das eigene zu empfinden“. Vermutlich würden viele Menschen dem grundsätzlich zustimmen, aber die Realität mit ihren nationalen und geopolitischen Machtkämpfen doch ganz anders einschätzen. Was kann man dem entgegenhalten?
Das Wohl der Weltgemeinschaft zu fördern klingt wie eine Selbstverständlichkeit – ähnlich wie die Verbesserung von Erziehung und Bildung oder die Förderung der Menschenrechte. Dem wird niemand so schnell widersprechen. Wenn das doch alles so selbstverständlich ist, warum handeln wir dann nicht alle auch so? Leider gibt es zur Zeit noch keine mir bekannte globale mit Autorität ausgestattete Institution, die solche Ideale auch verkörpert und kommuniziert – somit bleibt es hier leider nur bei einem frommen Wunsch. Was derzeit am meisten bei den Menschen ankommt sind nationalistische oder konsumorientierte Botschaften, und das prägt unser Denken in ganz unterschiedliche Richtungen, je nachdem in welchem Teil der Welt man lebt. Auf der Bühne der Nationalstaaten wird das eigene Übel meist durch Bedrohungen von außen begründet, eine beliebte und erprobte Technik jeglicher Propaganda. Durch solche Bedrohungsszenarien besteht die Gefahr, dass der Einzelne irgendwann seine Kritikfähigkeit verliert und dabei Teil einer plumpen „Gemeinschaftsseele“ wird, die sich emotional leicht manipulieren lässt (siehe dazu der Klassiker aus dem Jahre 1895 von Gustave Le Bons: „Die Psychologie der Massen“).
Wie kann man dem nun entgegenwirken? Ich denke, es ist hilfreich möglichst jeden Tag bewusst vom täglichen Chaos Abstand zu nehmen und dabei zu versuchen, die Geschehnisse aus einer weltumspannenden Perspektive der einen Menschheitsfamilie zu betrachten. Einfach mal die mentale Flughöhe erhöhen und sich fragen: Wo geht die Reise auf unserem Planeten gerade hin? Und wo sollte sie eigentlich hingehen? Ich persönlich bin ein Anhänger der Idee, dass sich die Dinge angefangen von den kleinsten subatomaren Vorgängen bis hin zur Entwicklung von Lebewesen (als Ausdruck der Naturgesetze) und der Bildung gesellschaftlicher Strukturen (als Konsequenz menschlichen Handelns) aus ganzheitlicher Sicht zu immer höheren Formen von Organisation und Perfektion entwickeln. Auf dem Weg zu immer komplexeren Strukturen erlebt man dabei dramatische Phasenübergänge, und genau in so einem Übergangsstadium befinden wir uns derzeit als globale Gesellschaft. So ein Perspektivenwechsel kann bei der eigenen Orientierung eine große Hilfe sein und auch dabei helfen, anderen eine andere Sichtweise vermitteln zu können.
Frage: Du schreibst, dass der Diskurs über den Weltfrieden zugunsten militärischer Ausgaben und Strategien zunehmend vernachlässigt wird. Die angeblich bewährte Devise „Frieden durch Stärke“ gibt noch immer militärischer Stärke den Vorrang, um mehr Sicherheit zu erlangen. Viele sehen darin heute aber auch eine gefährliche Rüstungsspirale. Wie schätzt du das ein?
Diese Frage hätte ich vor ein paar Wochen wohl noch etwas anders beantwortet, doch die derzeitigen Ereignisse im Kontext der zusammenbrechenden Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und Europa lassen kaum eine andere Schlussfolgerung zu: Wir stehen in Europa gerade an der Schwelle eines neuen Zeitalters, geprägt von einer Phase gewaltiger militärischer Aufrüstung. Insbesondere in Deutschland waren wir während unserer Nachkriegsgeschichte wohl immer davon ausgegangen, dass wir keine führende militärische Rolle mehr spielen würden. Doch nun gibt es plötzlich eine neue und ernst zu nehmende Bedrohungslage, und es kommt eine Menge Bewegung in den ansonsten eher träge agierenden Verbund der europäischen Nationen.
Als kleiner Rückblick auf Frage 2: Leben wir hier gerade in einer Propaganda-Blase, oder ist die Bedrohung von außen wirklich so ernst? Wird die USA wirklich der NATO den Rücken kehren und Russland tatsächlich das derzeit relativ verwundbare Europa angreifen? Zum aktuellen Stand im März 2025 scheint nahezu an jedem Tag eine neue Überraschung aufzutauchen, welche die vorigen Überlegungen zunichte macht – somit kann derzeit kaum jemand durch die vor uns liegenden dichten Nebelschwaden hindurchschauen. Sicher scheint jedenfalls, dass die Länder Europas (vor allem solche mit direkter Erfahrung aus russischer Besatzung) ihre Zukunft nicht dem Zufall oder den Launen tyrannischer Herrscher überlassen möchten. Also scheint die Aufrüstung das Gebot der Stunde zu sein, zumindest um einen einsatzbereiten Armeeverbund mit moderner Ausrüstung und vereinheitlichten Waffensystemen zur Verteidigung auf die Beine zu stellen.
Möglicherweise entpuppt sich die ganz aktuelle Bedrohungslage ja auch als stark übertrieben und wir kommen zu einem abrupten Abschluss dieser Krise? Sicherlich liegt es auch im Interesse Russlands, wieder ein gleichwertiger Partner im weltweiten Staatenverbund zu werden, mit dem Handel und Austausch genauso möglich sein kann wie mit anderen Staaten? In jedem Fall sind wir derzeit Zeuge eines historischen Umbruchs weg von einer eher hegemonialen hin zu einer multipolaren Welt. Noch haben wir anscheinend nicht die Reife der erwachsen werdenden Kinder aus Frage 1, noch müssen wir aufrüsten um unsere menschengemachten Grenzen zu verteidigen. Doch auch diese Phase wird vorübergehen und dabei im Zuge der Entwicklung eines neuen Systems der kollektiven Sicherheit unglaubliche Mengen an Ressourcen zur Verfügung stellen, die statt zur Aufrüstung in die Wohlfahrt und den Fortschritt der Menschheit investiert werden können.
Markus Mediger lebt in Nürnberg, studierte Physik an der RWTH Aachen und ist beruflich im Technologiesektor tätig.
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