Ich unterhalte mich gerne mit Freunden und Bekannten. Besonders spannend finde ich, wenn man im Laufe des Gesprächs auf grundlegende Lebensfragen stößt. In jeder Lebensphilosophie nimmt auch heute noch die Gottesfrage eine bedeutsame Stellung ein. Sie hat eine größere Wirkung auf unsere Art zu leben, als gedacht. So wird ein gläubiger Mensch, unabhängig von seiner Vorstellung von Gott, sein Leben meist anders bewerten und gestalten als ein nichtgläubiger.
Weil die Gottesfrage uns stärker prägt, als wir oft merken, können die Diskussionen hierzu sehr emotionsgeladen sein. Ich habe nicht selten erlebt, wie eine entspannte Gesprächssituation von einem Moment zum anderen gekippt ist. Schnell fühlt sich jemand angegriffen, weil zum Beispiel das, was er glaubt, als längst überholter Aberglaube abgestempelt wird. Wehrt er sich dann, liegt Streit in der Luft und ein sachliches Gespräch ist kaum mehr möglich.
Meiner Erfahrung nach ist die Auseinandersetzung mit der so vielschichtigen Gottesfrage am erfolgreichsten, wenn man sich ihr schrittweise nähert.
Kann die Existenz Gottes widerlegt werden?
Ist das überzeugend möglich? Die bekanntesten „Argumente“ gegen die Vorstellung eines einzigen Gottes sind:
1. Gott ist nicht sichtbar
2. „Gott“ ist eine Wunschvorstellung des Menschen
3. Die Heilige Schrift (z. B. die Bibel) steht im Widerspruch zur Realität
4. Das „Lückenbüßer“-Argument
Hinzu kommt ein weiteres Argument, auf das ich weiter unten gesondert eingehe:
5. Das „Theodizee“-Problem
Die ersten vier Thesen erweisen sich schnell als nicht haltbar. Dennoch beinhalten sie gute Hinweise, die im Hinblick auf eine weitergehende Beschäftigung mit der Gottesfrage wertvoll sind.
Das erste Argument betont, dass Gott kein „Objekt“ im üblichen Sinne ist. Gott kann nicht unmittelbar mit den körperlichen Sinnen wahrgenommen werden. Folglich können die Wirkungen, die von Gott ausgehen, nur indirekter Natur sein. Diese Überlegung kann die Suche nach Hinweisen auf die Existenz Gottes weiterbringen, die man vielleicht durch Erfahrung oder Beobachtung finden könnte.
Im zweiten Argument wird auf eine typisch menschliche Schwäche hingewiesen: Wir Menschen glauben gerne das, was uns attraktiv und angenehm erscheint. Auf der Suche nach Erkenntnis ist Wunschdenken eine häufig zu beobachtende Falle. Wir sollten uns ihrer immer bewusst sein, weil sie in die Irre leiten kann.
Im dritten Fall wird zu Recht vor einer oberflächlichen und naiven Auslegung der Heiligen Schriften gewarnt. Bei allen Schriften der großen Religionsstifter gilt es daher genau zu überlegen, welche Textstellen wörtlich gemeint und welche symbolisch-gleichnishaft auszulegen sind.
Das Lückenbüßer-Argument (vgl. dazu ein Beitrag von Harald Lesch) wiederum zeigt uns, dass nicht alles Unerklärbare als Argument für die Existenz einer höheren Macht herangezogen werden darf. Vielfach gibt es ganz natürliche Erklärungen für Phänomene, die vorschnell und zu Unrecht dem direkten Walten einer überirdischen Gottheit zugeschrieben wurden.
Das „Theodizee“-Problem
Das sogenannte Theodizee-Problem stellt den vergleichsweise kniffligsten Einwand gegen die Existenz Gottes dar. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet in etwa „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Rechtfertigung Gottes“. Das Argument bezieht sich auf die vermeintliche Unvereinbarkeit von göttlicher Macht und Güte auf der einen Seite und der Existenz des „Bösen“, erkennbar an den vielen Übeln in der Welt, auf der anderen Seite. Ein gütiger Gott mit entsprechender Macht würde Zustände, in denen insbesondere unschuldige Menschen stark leiden müssen, niemals zulassen – so die These. Ein Gott der gütig und allmächtig zugleich ist, könne demnach nicht existieren.
Der wesentliche Grund, warum diese Argumentation nicht stichhaltig ist, liegt im freien Willen des Menschen begründet. Der freie Wille beinhaltet automatisch, dass wir alle – ob bewusst oder unbewusst – auch in schädlicher und Leid erzeugender Weise handeln können. Das „Böse“ in der Welt hängt daher in erster Linie von der Reife der einzelnen Menschen wie auch der Weltgemeinschaft als Ganzes ab.
Darüber hinaus würde auch die Existenz eines Lebens nach dem Tod das Argument entkräften, weil dadurch ausgleichende Gerechtigkeit für übermäßig erfahrenes Leid möglich wäre. In der Tat versichern uns die Baha'i-Schriften:
Nun zu deiner Frage über die Seele des Menschen und ihr Fortleben nach dem Tode. Wisse wahrlich, dass die Seele nach ihrer Trennung vom Leibe weiter fortschreitet, bis sie die Gegenwart Gottes erreicht, in einem Zustand und einer Beschaffenheit, die weder der Lauf der Zeiten und Jahrhunderte noch der Wechsel und Wandel dieser Welt ändern können. ... Meine Feder stockt, wenn sie die Höhe und Herrlichkeit einer so erhabenen Stufe gebührend zu beschreiben sucht. ... [Die Seele wird] berichten, was sie auf ihrem Wege zu Gott, dem Herrn aller Welten, erdulden musste. Erführe ein Mensch, was einer solchen Seele in den Welten Gottes ... verordnet ist, er entflammte sogleich mit seinem ganzen Wesen im überwältigenden Verlangen, diese erhabenste, diese geheiligte, strahlende Stufe zu erreichen.
... Tage seliger Freude und himmlischen Entzückens stehen euch sicherlich bevor. Welten, heilig und voll geistiger Herrlichkeit, werden vor euren Augen enthüllt werden. Ihr seid von Ihm ausersehen, in dieser Welt und in der kommenden ihre Wohltaten und Freuden zu genießen und einen Anteil von ihrer stärkenden Gnade zu empfangen.
Ist die Existenz Gottes beweisbar?
Die Tatsache, dass es keine stichhaltige Widerlegung der Existenz Gottes gibt, bedeutet natürlich noch nicht, dass Gott tatsächlich existiert. So bemerkt der eingefleischte Atheist Richard Dawkins zu Recht: „Entscheidend ist nicht, ob Gottes Existenz widerlegbar ist (das ist sie nicht), sondern ob sie wahrscheinlich ist. Das ist eine ganz andere Frage.“ (Richard Dawkins, Der Gotteswahn, Ullstein Taschenbuch, Berlin, 8. Auflage 2010, S.77f., siehe auch Link)
Als jüngste der Weltreligionen bestätigt auch die Baha'i-Religion die Existenz Gottes und dessen zentrale Bedeutung für ein erfülltes Leben. Interessanterweise wird Gottes Existenz jedoch nicht als reine Glaubensfrage betrachtet. So heißt es in einer Ansprache:
Tag und Nacht müsst ihr danach streben, zu den Bedeutungen des himmlischen Königreiches vorzudringen, die Zeichen des Göttlichen wahrzunehmen, euch die Gewissheit der Erkenntnis zu erwerben und euch bewusst zu werden, dass diese Welt einen Schöpfer, einen Beleber, einen Versorger, einen Baumeister hat – und dies müsst ihr durch augenfällige Beweise und Zeugnisse erkennen, nicht durch Gefühle, vielmehr durch schlüssige Beweisgründe und wirkliche Schau.
Abdu'l-Baha, in: Zusammenstellungen aus den Baha'i-Schriften, Den Glauben vertiefen, Paragraph 60
Es lohnt daher, sich mit den verschiedenen Argumenten für eine Existenz Gottes auseinanderzusetzen. Es würde leider zu weit führen, auf Folgendes einzugehen, aber weil ich persönlich das so spannend finde, möchte ich es immerhin erwähnen: Vor allem die beiden klassischen Ansätze – das kosmologische und teleologische Argument – erfahren eine ganz neue objektive Überzeugungskraft, wenn man auch die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft berücksichtigt.
Die Pascalsche Wette – eine Risikoabwägung
Wenn sich nun jemand die Frage stellt, wie man mit dem Thema „Gott“ umgehen soll, solange man sich noch keine eigene Meinung gebildet hat, so sei auf die Überlegungen des französischen Mathematikers Blaise Pascal (1623-1662) verwiesen. Pascal war ein Agnostiker (von „a-gnoein“ = nicht wissen) und ging davon aus, dass die Gottesfrage womöglich nicht zweifelsfrei beantwortet werden könne. Er entwickelte einen pragmatischen Ansatz dafür, wie man mit der Ungewissheit in der Gottesfrage umgehen kann: Die „Pascalsche Wette“.
Pascal kam auf die Idee, dass jeder Mensch allein aus Vernunftgründen mit dem ganzen Einsatz seines Lebens auf die Existenz Gottes „wetten“ könne. Zum besseren Verständnis ist nützlich zu bedenken, dass Pascal einen „Gott“ gemäß der damals herrschenden christlichen Vorstellung im Kopf hatte. Seine Begründung lautete etwa wie folgt:
Für den Fall, dass Gott wirklich existiert, wäre der Gewinn für denjenigen, der auf Gott setzt und infolgedessen eine gottgefällige Lebensführung wählt, unvorstellbar groß. Sollte er mit seiner Wette falsch liegen, weil Gott nicht existiert, würde der Verlust vergleichsweise gering ausfallen. Würde man hingegen umgekehrt darauf wetten, dass Gott nicht existiert, wäre, selbst wenn man damit Recht hätte, der Gewinn nicht nennenswert. Sollte sich der Wettende jedoch getäuscht haben, weil Gott entgegen seiner Annahme doch existiert, so wäre der Verlust des versprochenen „Paradieses“ gewaltig und käme für ihn persönlich einer unbeschreiblichen Katastrophe gleich.
Nach Pascal führt daher die logische Abwägung von Nutzen und Verlust zu der verblüffend eindeutigen Aufforderung, trotz aller Unsicherheit so zu leben, als ob Gott tatsächlich existieren würde.
Fazit
Es gibt meinem Verständnis nach keine stichhaltigen Beweise gegen die Existenz Gottes. Zu klären, ob Gott tatsächlich existiert und welche Vorstellung, also welches Gottesbild damit verbunden wäre, ist allerdings keine einfache Aufgabe und erfordert eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. Solange man für sich selbst dabei noch keine belastbare Antwort gefunden hat, schlage ich vor, dem pragmatischen Rat Blaise Pascals zu folgen. Demnach sollte man von der Existenz Gottes ausgehen und ein menschenfreundliches und dadurch gottgefälliges Leben führen. Der Grund ist ganz einfach: Liegt man mit der Annahme falsch, wäre der Verlust sehr gering. Existiert Gott hingegen tatsächlich, wäre der Gewinn unermesslich groß.
Michael Merkel, Jahrgang 1969, studierte Physik in München und arbeitet seit über 20 Jahren in einem großen Versicherungskonzern. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder sowie zwei Enkelkinder. Verschiedene Erkenntnisse zum Themenkomplex Wissenschaft und Glaube hat er in seinem Buch zusammengefasst: Eckpfeiler einer reifen Weltsicht – eine Einführung in das Prinzip der Einheit von Wissenschaft und Glauben, Verlag tredition, Hamburg 2021.
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