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Im Dialog: „Das Ich und das Wir“

Ein Dialogbeitrag zu Das Ich und das Wir

Fariedeh Huppertz im Gespräch mit Thomas von Lutterotti


Was ist ein Dialogbeitrag?


Es ist nicht schwer, offen füreinander zu sein

Frage: Das Bedürfnis nach Sicherheit und Frieden dürfte bei den allermeisten Menschen vorhanden sein. Nun ist die Lenkung der Welt – gerade in den gegenwärtigen Umwälzungen – von sehr unterschiedlichen Interessen bestimmt. Welches Menschenbild bzw. Weltbild vermuten Sie bei den Machthabern?


Es sind immer sehr wenige Menschen, die Macht im Sinne weitreichender Entscheidungsgewalt haben. Ich vermute bei solchen, die ohne Rücksicht auf Konflikte ihre ureigenen Pläne verfolgen und diese gar staatliche Interessen nennen, ein grundsätzlich anderes Menschenbild als bei der großen Mehrheit. Für diese Machthaber haben Menschenleben keinen Wert, wenn es um aggressive kriegerische Konflikte geht, und eigene wirtschaftliche Vorteile werden globalen Umweltproblemen vorgezogen. Das ist sehr kurzsichtig, denn solchen Konflikten folgen immer neue. Ein Leben in Sicherheit und Frieden kann nur in einer langfristigen und uneigennützigen weltweiten Gesamtsicht gefunden werden.


Frage: Heutzutage wird viel von Narrativen gesprochen, also von großen Erzählungen und Weltdeutungen, die unser Denken und Fühlen stark beeinflussen. Wie schaffen wir es, zu starre Narrative zu verwandeln, mehr zu differenzieren, den Blick füreinander zu weiten?


Seit jeher lieben Menschen Geschichten. Wir hören Märchen als Kinder, lesen Romane als Erwachsene und bekommen Herzklopfen im Kino. Wir verfolgen Berichterstattungen und versuchen uns vor zu einseitiger Stellungnahme zu hüten. Narrative sind nicht nur allgemeine Erzählungen. In der heutigen Bedeutung sind es auch Geschichten über den Ursprung von Volksgruppen, die nur selten historisch belegbar sind. Es sind mehr schöne als wahre Geschichten. Sie haben etwas Mythisches, manchmal Märchenhaftes. Starr werden sie, wenn sie als einzige Quelle für eine Identität herhalten sollen, und noch starrer, wenn aus politischen Gründen daraus die eigene Einzigartigkeit und die Andersartigkeit aller anderen abgeleitet wird.


Lassen wir solche Narrative in ihrer jeweiligen Vergangenheit, dann können wir sie gemeinsam wertschätzen und gemeinsam darüber lachen. Wenn wir aber nach tausenden von Jahren daraus heutige Ansprüche herleiten, dann werden wir eher weinen.


Frage: „Brücken und Tore“ anstelle von Grenzen und Abschottung zu denken, würde Offenheit bedeuten. Was brauchen wir aus Ihrer Sicht, um offen füreinander zu sein? Und ist eine offene Haltung vereinbar mit bestehenden Konflikten und Bedrohungen, die ja durchaus existieren?


Abschottung kommt mir wie die Behandlung von Symptomen statt von Ursachen vor. Einfach gesagt nehme ich Mittel gegen den auftretenden Schmerz, anstatt die Ursache des Schmerzens zu beheben.


Wenn wir glauben, Mauern bauen zu müssen, wie in Berlin, auf Zypern, in Korea oder zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, um uns vor Bedrohung zu schützen, dann sollten wir den Ursachen solcher Bedrohung auf den Grund gehen und sie beheben. Das wird immer möglich sein, wenn ein aufrichtiger Wille dazu da ist.


Es ist nicht schwer, offen füreinander zu sein. Ein großes Herz wird manchen in die Wiege gelegt, aber alle können wir lebenslang daran arbeiten. Dann sehen wir, wie ähnlich wir uns überall auf der Welt sind. Je weiter wir reisen, desto näher kommen wir einander.


 

Thomas von Lutterotti ist als Naturwissenschaftler seit jeher an philosophischen und theologischen Fragestellungen interessiert. Bei allen behandelten Themen ist ihm der transreligiöse Kontext immer ein großes Anliegen, weil vor allem daraus ein wechselseitiges Verständnis und die Orientierung aller auf die eine und einzige Gottheit erwachsen kann. Thomas hat Familie und lebt in Berlin und Dubai.


Photo von Bestbe Models auf Pexel


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