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AutorenbildBabak Farrokhzad

Nahrungsmittelkrisen gemeinschaftlich und ökologisch überwinden (1/2)


Teil 1 – „Adasiyyah“ Ein frühes Pionierprojekt in Jordanien


Waldbrände und Überschwemmungen dominieren die Medien. Gleichzeitig wird der schleichende Rückgang landwirtschaftlicher Erträge durch Klimawandel und nicht-nachhaltige Methoden immer weniger beachtet. Wie es anders geht, zeigt der lohnenswerte Blick auf ein Projekt von Baha'i-Bauern in Jordanien zu Beginn des Ersten Weltkriegs – lange vor den modernen Debatten zu diesem Thema, aber wieder von hoher Aktualität.


Ökologische Landwirtschaft

Fachmedien berichten heute global über die seit 2020 überdurchschnittlich hohe Inflation bei landwirtschaftlichen Produkten. Konventionelle agrarpolitische Ansätze kommen bei der Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung zunehmend an ihre Grenzen. Bauernproteste weltweit zeigen: Landwirte können bei aktuellen Marktpreisen und eingeschränkter Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Produkte nicht kostendeckend wirtschaften. Mittlerweile notwendige Umweltauflagen steigern die Arbeitsbelastung der Bauern, u.a. durch komplizierte Vorschriften und hohe Dokumentationspflichten. Viele Landwirte fühlen sich überlastet, sehen ihre Arbeit als nicht wertgeschätzt und geben auf. Als Folge kommt es zum „Bauernsterben“.


Ökologische Initiativen an der Basis der Gesellschaft sind gefragt


Zahlreiche Individuen und manche staatliche Stellen wirken diesem Trend entgegen, z.B. in Initiativen wie Gemüsehelden, Urban Gardening oder Mikro-Wald. Diese zielen auf kleine Betriebe oder Gruppen und fördern ökologische Land- und Forstwirtschaft. Dabei setzen sie auf Innovationen und kooperative Nähe zwischen Produzenten, Händlern und Endverbrauchern. In flachen, schnell lernenden Strukturen kombinieren sie bewährte Ansätze mit neuartigen ökologischen Methoden.


Adasiyyah in Jordanien – ein erfolgreicher Pionier


Eine in Europa weitgehend unbemerkt gebliebene Vorreiterrolle in nachhaltiger Landwirtschaft und der Entwicklung autarker, demokratisch arbeitender Gemeinschaften spielten Baha'i in Jordanien bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs.


Adasiyyah liegt nahe der heutigen Grenze zwischen Israel und Jordanien, im Yarmuk-Tal südöstlich des Sees Genezareth und südlich des Yarmukflusses am nördlichen Ende des Jordans. Unter osmanischer Herrschaft wurde die Region von korrupten, autokratischen Gouverneuren ausgebeutet, wodurch die Landwirtschaft verfiel – begleitet von Raubzügen aus der Umgebung. Die Bauern waren der Ausbeutung durch die Grundbesitzer schutzlos ausgeliefert, und das Land verkam zu Brachland. Neben drückender Sommerhitze war Malaria ein Problem. Dieses Land urbar zu machen, war keine leichte Aufgabe.


Dort machten die Baha'i-Bauern unter schwierigen Bedingungen Brachland fruchtbar und steigerten in Selbstverwaltung die Produktivität durch Anbau- und Bewässerungstechniken. So verhinderten sie eine regionale Hungersnot während des Ersten Weltkriegs. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Adasiyyah ein Vorbild für die landwirtschaftliche Entwicklung und zog viele in- und ausländische Besucher an, u.a. mehrfach den jordanischen König.


Diese Baha'i waren auf Bitten Abdu'l-Bahas, des damaligen Oberhaupts der noch jungen Baha'i-Weltgemeinde, von Zentraliran dorthin ausgewandert, um vor Ort mit Einheimischen zu arbeiten. Abdu'l-Baha verfolgte drei zusammengehörige Ziele, die neben Ökologie und Ökonomie den gesamten Menschen umfassten:


  • Sicherung der materiellen Eigenständigkeit der Bauern

  • Förderung geistiger Fähigkeiten wie Toleranz, Kreativität und Solidarität

  • Steigerung des Wohlstands für alle Beteiligten und ihre Umgebung

Gemeindezentrum von Adasiyyah
Gemeindezentrum von Adasiyyah

Der Beginn – eine landwirtschaftlich verfallene und verarmte Gegend


Alles begann in der Gegenwart Abdu'l-Bahas unter seiner Führung zunächst mit dem Anbau von Grundnahrungsmitteln. Mit dem Beginn von Freundschaften mit Nachbarschaft und Beduinen nahmen auch die Raubzüge ein Ende. Zu den einfachen Werkzeugen kamen nach und nach Zugtiere und Pflüge hinzu, die halfen, die Produktivität zu steigern. Um einer drohenden Hungersnot im Ersten Weltkrieg entgegenzuwirken, ließ Abdu'l-Baha die Bauern ihre Lager leeren, bis auf die Lebensmittel, die sie selbst brauchten. Er bat sie zusätzlich, Weizen von den Bauern in der Umgebung abzukaufen und ließ all die Lebensmittel unter den Menschen in Haifa und Akka verteilen.


Abdu'l-Baha mit den Baha'i in einem der Haine in Adasiyyah
Abdu'l-Baha mit den Baha'i in einem der Haine in Adasiyyah

Der Weg zu resilienten und höherwertigen Produkten


Nach diesen Anfangserfolgen wurde die Produktion um Auberginen erweitert, die wenig Bewässerung benötigten und schädlingsresistent waren. Weizen, Gerste, Kichererbsen, Linsen, Saubohnen und verschiedene Gemüsesorten in günstiger Fruchtfolge und mit Gründüngung wurden auf den lokalen Märkten angeboten. Hinzu kamen später Zitronen, Tafeltrauben, Orangen, Mandarinen, Grapefruits und Bananen, die höhere Preise erzielen konnten.


Zusätzlich stellten sie zur Verminderung der Verdunstung die übliche Reihen- auf Beckenbewässerung um. Später folgten ein kleiner Damm über einen Teil des Flusses und Bewässerungskanäle. Gegen Malaria pflanzten sie Eukalyptus an, der den Moskitos die Lebensgrundlage entzog.


Die Bauern waren nahezu autark bezüglich ihres Nahrungsmittelbedarfs und verkauften ihre Erzeugnisse in Städten wie Akka, Tiberias, Haifa oder Damaskus, wo sie gleichzeitig ihren Materialbedarf deckten, was die regionale Wirtschaft förderte.


Maßnahmen zur Förderung der Gemeinschaft


Bereits von Anfang an wirkte Abdu'l-Baha daraufhin, dass eine von seiner Person unabhängig und nachhaltig funktionierende Gemeinschaft entstehen konnte. So forderte er zu Beginn die Gemeinschaft zu Beratungen auf, um das Land gerecht unter sich aufzuteilen. Er ermutigte immer wieder die Menschen, Probleme und Konflikte eigenständig durch Beratung zu lösen. Dies gipfelte 1924 in der demokratischen Wahl des ersten Geistigen Rats als Organ der Selbstverwaltung. Der Rat setzte dann einen Landwirtschaftsausschuss ein, der auch Fragen von allgemeiner Bedeutung beriet und schnelle, pragmatische Lösungsfindung ermöglichte.


Abdu'l-Baha führte ein gerechtes Entlohnungssystem ein, das den Bauern materielle Unabhängigkeit verschaffte und ihre moralische Entwicklung förderte: Das Land gehörte ihm, die Bauern planten und führten aber selbständig die Arbeiten durch und stellten Ressourcen wie Saatgut, Wasser und Arbeitskräfte zur Verfügung. Anfangs führten sie ⅓ ihrer Erträge ab, später reduzierte er seinen Anteil und die Bauern erhielten 80% des Nettoerlöses. Er ermutigte sie, ihre Arbeiter ebenso am Gewinn zu beteiligen, denn


Reichtum ist in höchstem Maße lobenswert, sofern die ganze Bevölkerung reich ist. … Wird der Reichtum andererseits dazu verwendet, Wissen zu fördern, Grund- und andere Schulen zu eröffnen, Kunst und Industrie anzuregen, Waisen und Arme zu erziehen – kurz gesagt, ist er dem Wohle der Gesellschaft gewidmet –, dann ragt sein Besitzer vor Gott und den Menschen als der Vortrefflichste unter allen, die auf Erden wohnen, hervor...

Abdu'l-Baha warnte die Bauern, dass ohne eine Beteiligung der Mitarbeitenden am Gewinn diese sich irgendwann ihren Anteil mit Gewalt holen würden. Diese Sicht stand in krassem Gegensatz zu den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im Osmanischen Reich.


Die Kindererziehung fand ursprünglich zu Hause statt, später in einer kostenlosen Schule mit Lehrern aus der Gemeinschaft und extern (Klasse 1-9 und weiterführende Klasse). Der Unterricht umfasste Arabisch, Geographie, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften. Die Unterweisung in den Baha'i-Schriften achtete auf die geistige Entwicklung der Lernenden und die praktische Anwendung moralischer Werte, frei von Dogmatismus, denn religiöse Erziehung


… muss in solchem Maß geschehen, dass es die Kinder nicht durch Abgleiten in eifernde, bigotte Unwissenheit schädigt.

Jungen und Mädchen wurden gemäß den damaligen Gepflogenheiten separat unterrichtet. Abdu'l-Baha betonte die Bedeutung moralischer Werte in Alltag und Beruf für die Wohlstandsförderung und nahm dabei Erkenntnisse moderner Autoren vorweg, wonach „die größten Umweltprobleme Egoismus, Gier und Apathie“ seien. Er empfahl den Aufbau aufrichtiger, geschäftlicher Beziehungen sowie rechtschaffenes Handeln. Mit der Alphabetisierung ermutigte man die Erwachsenen zugleich, neue Anbaumethoden zu erlernen, um die Landwirtschaft weiterzuentwickeln.


Am innovativsten war der gleichzeitige Fokus auf wissenschaftlich fundierte ökologische Methoden, ethisch-moralisches Handeln sowie die Entwicklung geistiger und sozialer Fähigkeiten durch Bildung als Fundament einer funktionierenden Gemeinschaft. Diese Art, die Religion zu leben, war selbständig reflektiert, weltoffen, von konfessionellen, dogmatischen Schranken befreit und durch den menschlichen Erfindungsgeist gestärkt. Sie war Gott zugewandt, hatte gleichzeitig die Bedürfnisse der Mitmenschen im Mittelpunkt und übernahm nicht einfach nur tradierte Werte geistlicher und weltlicher Machthaber.


In der Blütezeit lebten rund 1.000 Menschen im Dorf Adasiyyah. Leider konnten die Erfolge durch externe, politische Umstände nicht wie angedacht weitergeführt werden. Dennoch ist der Erfolg von Adasiyyah ein exemplarischer Beleg dafür geworden, wie


… wahre Religion Kultur und Würde, Wohlstand und Ansehen, Bildung und Fortschritt eines vormals elenden, unwissenden und versklavten Volkes fördert und wie der Gottesglauben, wenn er törichten, fanatischen Religionsführern in die Hände fällt, auf schlimme Art missbraucht wird, bis sich diese höchste Pracht in schwarzes Dunkel verwandelt.

Teil 2 dieses Themas wird sich in Bälde der Relevanz Adasiyyahs für die Debatten um die Krise der gegenwärtigen Landwirtschaft zuwenden.


 

Babak Farrokhzad (Dr.-Ing.), langjährig tätig in Innovationsmanagement bei führenden europäischen Technologieunternehmen. Veröffentlichung zu Innovations- und Portfoliomanagement, sowie zu Baha'u'llahs Buch der Gewissheit, Untersuchungen zum Einfluss von Religion auf Innovation in einer Münchener Baha'i-Studiengruppe.


Dieser Artikel wurde zusammengestellt unter Mitwirkung der Arbeitsgruppe Adasiyyah für resiliente und regenerative ökologische Landwirtschaft der Gesellschaft für Baha'i-Studien.



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