Ein Dialogbeitrag zu Suche nach Wahrhaftigkeit in kriegerischen Zeiten
Ingo Hofmann im Gespräch mit Peter Amsler
Frage:
Seit Februar ist über ein halbes Jahr vergangen. Was würden Sie heute grundsätzlich anders schreiben? Ist Ihre Haltung unverändert?
Im Laufe des Jahres hat sich der öffentliche Fokus vom Nahost-Konflikt hin zum Krieg in der Ukraine verlagert. In den Medien sehe, höre und lese ich mittlerweile deutlich weniger Beiträge über Israel und Palästina im Vergleich zu der Zeit, als ich meinen Beitrag verfasste. Das Muster ist jedoch gleichgeblieben: Von der Regierungspolitik abweichende Meinungen stehen im Sturm harscher öffentlicher Kritik, während im persönlichen Gespräch sehr viel abgewogener gesprochen wird. Seit meinem Gespräch im Februar mit meinem Schwiegersohn, der mir aufgrund seines Wohnortes, seines Medienkonsums und persönlicher Gespräche in Bosnien-Herzegowina verdeutlichte, wie wenig ich wirklich über die Konfliktlagen im Gaza-Streifen wusste und wie offensichtlich einseitig ich in Deutschland informiert werde, hat sich in mir das Bedürfnis verfestigt, Informationen über die Welt möglichst aus erster Hand wahrzunehmen. Ich bin heute neugieriger als damals und versuche so viel wie möglich, persönliche Erlebnisse und Erfahrungen aufzunehmen – auch abseits der großen Medien. Interviews oder Reportagen in den großen Zeitungen lese ich nach wie vor sehr gern, am liebsten sind mir aber persönliche Gespräche mit Betroffenen oder Angehörigen von Betroffenen. In Berlin haben wir zum Beispiel in der Zwischenzeit einen deutsch-ukrainischen Chor gegründet. Hier erfahre ich sehr viel darüber, was Krieg für »gewöhnliche« Menschen bedeutet. Der Krieg ist, so verstehe ich es, der große »Gleichmacher«, der die Menschen auf allen Seiten zu Opfern von Gewalt erniedrigt. Was früher die Pest war im Totentanzbild, zum Beispiel in der Berliner Sankt Marienkirche, das ist heutzutage der Krieg. Die Konfliktlagen in der Welt spiegeln das, jede auf ihre Art, sehr gut wieder: allerorts Verlierer.
Frage:
Sie schrieben über die Auseinandersetzungen in unserem eigenen Land – auch eine Art Krieg, aber über die Medien in unsere Wohnzimmer gebracht. Wer sind heute die „Gewinner“ in diesem Krieg?
»Gewinner« sind die vielen Falschinformationen, die es zu erkennen gilt. Mein Misstrauen gegenüber den Medien teile ich mit vielen anderen. Laut Statistischem Bundesamt sank im Jahr 2023 der Anteil der Befragten in Deutschland, die den Medien als Institution vertrauen, um einen weiteren Punkt. Der Wert in Deutschland erreichte 46 Prozent und lag damit unter dem weltweiten Durchschnitt von 50 Prozent. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele, die aufgehört haben, die Nachrichten der großen Medienhäuser zu konsumieren. Stattdessen nutzen sie zunehmend fragwürdige Quellen aus den sozialen Medien – und geraten vom Regen in die Traufe. Es scheint mir, als ob auf dem Markt der Aufmerksamkeitsökonomie jeder Anbieter seine eigenen Interessen durchsetzen möchte, die oft wenig mit dem eigentlichen Gegenstand der Berichterstattung zu tun haben. Wie schnell verschwinden hungernde Kinder oder zerstörte Städte aus dem Fokus der Berichterstattung? Clickbaiting und Viralmarketing nutzen die Neugier der Menschen nach Sensationellem aus und nähren Zerstreuung und Angst vor der Zukunft. Parteiische Interessen, Obrigkeitsdenken, angstmachende Falschinformationen, öffentlich geäußerte Halbwahrheiten, unbewiesene Unterstellungen und stereotype Zuschreibungen halte ich daher derzeit für die »Gewinner« dieser Entwicklung, wenn Sie so wollen.
Frage:
Was würden Sie sich für die nächste Zeit in diesem Thema am meisten wünschen?
In einer freiheitlichen Grundordnung, wie sie unser Staat anstrebt, gibt es keine Abkürzungen. Mit undemokratischen Maßnahmen wie gesetzlichen Verboten im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit, ungerechtfertigten Razzien oder unverhältnismäßigen Überwachungen lässt sich der demokratische Rechtsstaat nicht aufrechterhalten; er wird meines Erachtens vielmehr ad absurdum geführt. Um den öffentlichen Raum zu befrieden, einen heilsamen Diskurs zu führen und verlässliche sowie konstruktive Informationen zu ermöglichen, braucht es aus meiner Sicht viele verschiedene Maßnahmen. Als Baha’i glaube ich zum Beispiel an die Kraft eines multiperspektivischen Austauschs und einer Entscheidungsfindung auf Augenhöhe aller Betroffenen. Wir nennen das das »Prinzip der Beratung« – und vor allem glaube ich an das friedensfördernde Potenzial von Bildung und Erziehung. Ethische Standards und journalistische Integrität im Medienbetrieb sollten durch Schulungen und Selbstregulierung gefördert werden. Das Wissen darüber, wie Propaganda und Bewusstseinsmanipulationen wirken und wie Menschen vertrauenswürdige Nachrichten von unzuverlässigen unterscheiden können, sollte Bestandteil der Allgemeinbildung werden. Ich befürchte, dass unsere Medienkompetenz den vielfältigen Möglichkeiten, die den Medien zur Verfügung stehen, deutlich hinterherhinkt. Ich wünsche mir daher, dass wir uns auch in der Baha’i-Gemeinde mehr mit diesen Fragen auseinandersetzen. In Berlin beginnen wir bald damit, indem wir junge Menschen einladen möchten, zusammen mit meinem Sohn ins Gespräch zu kommen. Er hat als Journalist gearbeitet und weiß aus erster Hand, wie und warum Nachrichten in die Zeitung kommen. Voneinander zu lernen, halte ich für sehr wichtig. Statt auf die große, umwälzende Lösung zu warten, sind wir als Menschen doch immer noch stark genug, mit vielen kleinen Schritten die Dinge zum Besseren zu ändern. Der Wandel – auch der Wandel unserer medial vermittelten Weltsicht – fängt bei uns selbst an.
Peter Amsler ist gelernter Lehrer und derzeit als Erzieher und Verleger tätig. Er vertritt die Baha'i-Gemeinden in Berlin im religionsübergreifenden Gespräch. Mit seiner Familie lebt er in Berlin-Zehlendorf.